Eigenen Rundgang planen
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Bahnhofstraße 6, Obersulm-Eschenau
Zeittafel
1546 Bau des Alten Rathauses als Mehrzweckgebäude unter den Ortsherren von Gemmingen
1823 Einbau einer Arrestzelle
1910 Umzug des Rathauses in das früherer Amtshaus gegenüber dem Schloss
1910 Verkauf des Gebäudes an Schreinermeister Kistner
1961 Verkauf des Gebäudes an Johann Six; Umbau des Erdgeschosses als Postamt
1995 Umwandlung des Postamts in eine Postagentur
1995 Erwerb des Gebäudes durch die Gemeinde Obersulm
2002 Umzug der Postagentur in das Gebäude Bahnhofstraße 3
2002 Das Gebäude wird nur noch für Wohnzwecke genutzt
2015 Verkauf des Gebäudes durch die Gemeinde Obersulm an einen Privatmann
Erbaut wurde das für damalige Zeiten stattliche Haus im Jahre 1546. Bauherr war der Ortsherr Philipp von Gemmingen "der Reiche". Die noch existierende Einfriedigungsmauer des 1504 durch die Truppen des Herzogs Ulrich von Württemberg zerstörten Burgstadels diente als östliche Längsmauer des Gebäudes. Der Unterbau besteht aus behauenen Sandsteinen. Das Fachwerk im oberen Stockwerk ist heute mit einem Außenputz verkleidet. Eine früher vorhandene zweiflügelige Eingangstüre war umrahmt von einem schön behauenen Sandsteingewand. Die damalige Bedeutung des Gebäudes wird daran sichtbar, dass es zweigeschossig errichtet wurde. Die sonstigen Häuser einer solch kleinen Ortschaft waren im 16. Jahrhundert in der Regel einstöckig und in Holzbauweise ausgeführt. Das "Alte Rathaus" ist sicherlich eines der ältesten Gebäude im Ort.
Untergebracht waren im Obergeschoss die Amtsstube des Schultheißen und ein etwas größerer Raum für die Sitzungen der sogenannten Gerichtsverwandten (Gemeinderäte) und des Bürgerausschusses. Dieser Raum konnte bis ins 19. Jahrhundert von den Bürgern für familiäre Feierlichkeiten, z.B. Hochzeiten, genutzt werden.
Im Erdgeschoss befand sich das Feuerwehrmagazin. Im Jahr 1752 wurden dort u.a gelagert: 2 hölzerne Feuerspritzen, 60 Feuereimer, zwei Feuerleitern und zwei Feuerhaken.1823 wurde im Erdgeschoss zusätzlich eine Arrestzelle eingerichtet, im Volksmund auch "Alisle" genannt.
Nach der Reichsgründung im Jahr 1871 kamen für die Gemeinden weitreichende Änderungen im Personenstandswesen. Ab 1876 wurden Geburten und Todesfälle nicht mehr nur in Kirchenbüchern, sondern bei den neu eingerichteten Standesämtern der Gemeinden erfasst. Vor einer kirchlichen Trauung musste vorher eine Ziviltrauung auf dem Schultheißenamt erfolgen. Dies alles benötigte zusätzlichen Platz im Rathausgebäude, was jedoch vom Gemeinderat als nicht dringlich abgelehnt wurde und zu großen Querelen mit Schultheiß Carl Stoewe führte.
Erst auf entsprechenden Druck durch das Oberamt Weinsberg zog 1910 das Rathaus in seine neuen Räume im Erdgeschoss des ehemaligen Amtshauses ein. ( siehe weiter unten den Abschnitt über Schultheiß Carl Stoewe und das "Alte Rathaus")
Schreinerei
Nach dem Umzug der Verwaltung in das Erdgeschoss des früheren Amtshauses im Jahr 1910 wurde das "Alte Rathaus" an den Schreinermeister Christian Kistner für 1600 Mark verkauft. Er richtete im Erdgeschoss eine Schreinerwerkstatt ein, die bis 1960 dort betrieben wurde. Heute noch sichtbar ist an der Längsseite zur Straße im Gebäude eine Öffnung, die mit einem Laden versehen war. Dort wurden die Holzbretter zum Hobeln eingeschoben. Bei dem heutigen Verkehr eine Unvorstellbarkeit! Die früheren Amtsräume im Obergeschoss wurden als Wohnung umgebaut.
Poststelle
Im Jahr 1961 erwarb der Postbeamte Johann Six das Gebäude. Nach dem Umbau des Erdgeschosses 1963/1964 zog dort die Deutsche Bundespost mit ihrer Poststelle ein. Zuvor befand sich die Poststelle in der Bahnhofstraße gegenüber dem Schulgebäude, wohin sie bereits 1911 vom Bahnhof umgezogen war. Ab September 1995 wandelte die Bundespost ihre Dienststelle in eine Postagentur um, die in diesen Räumen bis Ende 2001 ihren Sitz hatte.
Wohngebäude
Nachdem in der Zwischenzeit das "Alte Rathaus" wieder in Gemeindebesitz gelangt war, wurde das Gebäude nur noch für Wohnzwecke genutzt. Im Jahr 2015 verkaufte die Gemeinde das Gebäude wieder an einen Privatmann, der dort ebenfalls Wohnungen unterhält.
Das reichsritterschaftliche Dorf Eschenau wurde durch Tagesbefehl Kaiser Napoleons vom 19. Dezember 1805 dem Königreich Württemberg einverleibt. Bis dahin waren die Rittergutsbesitzer zugleich die Landesherren. Die Amtsgeschäfte wurden durch ihre Vögte oder Amtmänner erledigt. Außerdem gab es für die örtlichen Belange die Schultheißen. Auch sie wurden bis 1805 von der Obrigkeit eingesetzt und übten sowohl herrschaftliche als auch kommunale Funktionen aus. Unter Beisitz verschiedener Richter entschied das niedere Dorfgericht u.a. über Wegerechte, Grenzstreitigkeiten, Zehntabgaben oder Einquartierungen. Die Gemeinderechnung wurde durch zwei Bürgermeister geführt, die sich gegenseitig zu unterstützen und kontrollieren hatten. Im Jahr 1929 bechloss der württembergische Landtag den Titel "Schultheiß" abzuschaffen und dafür die Bezeichung "Bürgermeister" für die Ortsvorsteher einzuführen. Grundlage für das Verwaltungshandeln waren die sog. Dorfordnungen. Die Eschenauer Dorfordnung stammt von 1565 und blieb über Jahrhunderte gültig. Inhaltlich betrachtet sind nur die Pflichten der Dorfbewohner in diesem Werk aufgeführt. Ein erster Schritt zur Selbstverwaltung der Gemeinden in Württemberg erfolgte durch ein Verwaltungsedikt von 1822, das 1865 wesentlich novelliert wurde. Zu den Aufgaben der Schultheißen gehörte Ende des 19. Jahrhunderts die Führung von Protokollen, Kaufbüchern, Güterbüchern , Unterpfandbüchern , Steuer- und Bürgerlisten u.a. Auch für die Militärstammrollen und Mobilmachungsakten waren sie zuständig. Seit 1876 gehörte auch das ganze Personenstandswesen (Geburten, Todesfälle, Eheschließungen) zu ihren Aufgaben. Nicht nur die Aufgaben wurden umfangreicher, es gab auch wesentlich mehr Akten und die Räumlichkeiten wurden zu eng. Schultheiß Carl Stoewe scheiterte mehrmals im Gemeinderat mit seiner Bitte, das Rathaus in die Erdgeschossräume des früheren Amtshauses zu verlegen, zumal die Gemeinde seit 1869 dort Eigentümer war. Erst nach einem Eklat und auf Druck des Oberamts Weinsberg erfolgte 1910 der Umzug dorthin (siehe auch weiter unten "Schultheiß Carl Stoewe")
Das Leben für die zumeist ärmliche Einwohnerschaft von Eschenau war alles andere als leicht. Hinzu kam für sie als Leibeigene des Ortsherren seine Gängeleien und die seines Amtsvogts. Eine gewisse Wut und Zorn hatten sich über dieses Verhalten über Jahrzehnte angestaut und so kam es am Johannistag im Juni 1680 zu einem lokalen Aufstand. Auslöser dafür war das wieder einmal brutale Verhalten des damaligen Ortsherren Bernhard Moser von Filseck. Wegen einer angeblichen Verfehlung seines Forstknechts Hansjörg Orth, im Dorf genannt "Steinbrenner", und dessen Weigerung dafür unentgeltlichen Frondienst zu leisten, sollte ihn Amtmann Hirsch in den Turmkeller beim Schloss einsperren. Beim Aufschließen der Türe zum Gefängnis konnte Steinbrenner entfliehen. Provozierend ließ er sich am darauffolgenden Sonntag in der Kirche blicken. Der ebenfalls anwesende Ortsherr gab seiner Dienerschaft die Anweisung den flüchtigen Steinbrenner sofort festzunehmen. Mit Hilfe einiger Kirchenbesucher gelang ihm jedoch erneut die Flucht. Ab diesem Zeitpunkt spielte nun das "Alte Rathaus" eine entscheidende Rolle, denn in dieses nahegelegene Gebäude hatte er sich geflüchtet und die Eingangstüre verbarrikadiert. Laut Gerichtsprotokoll hatte er sich unter dem Dachgebälk versteckt. Nach dem Ende des Gottestdienstes versammelten sich die aufgebrachten Bewohner und Leidgenossen vor dem Rathaus und verwehrtem jedem, der versuchte die Türe zu öffnen, den Zutritt. Mittlerweile war auch Moser von Filseck anwesend. Er ließ sich vom Schloß zwei Pistolen bringen und forderte zusätzlich bewaffnete Hilfe beim Baron von Weiler an, da es der Dienerschaft aufgrund der aufgebrachten Menschenmenge nicht gelang, die Rathaustüre zu öffnen. Derart bewaffnet und mit Hilfe der Verstärkung aus Weiler konnte Steinbrenner schließlich festgenommen und in das Turmgefängnis gebracht werden. Hilfe gegen weitere Unruhen leistete in den folgenden Wochen eine Reiterstaffel des Ritterkantons Kraichgau. Natürlich waren die Kosten für Unterbringung und Verköstigung in voller Höhe von der Einwohnerschaft zu begleichen. Jörg Borth, genannt Steinbrenner, wurde samt Familie innerhalb kürzerster Zeit des Dorfes verwiesen. Sein gesamter Besitz wurde beschlagnahmt und ein Betretungsverbot für Ort und Flur Eschenau wurde auf Lebenszeit gegen ihn verhängt. Keinesfalls war die Angelegenheit damit für die am Aufstand beteiligte Einwohnerschaft erledigt. Es kam zu einer gerichtlichen Verhandlung vor dem Ritterkanton Kraichgau, bei der am Ende Moser von Filseck, wie nicht anders zu erwarten, keinerlei Schuld zugesprochen wurde. Schuld allein waren die "faul, schlecht und verkommenen Untertanen" der Herrschaft. Gegen Einzelpersonen wurden völlig unerfüllbare Geldstrafen verhängt. Zusätzlich erhielten alle Personen, die am Aufstand beteiligt waren, eine Strafe von zusammen 1000 Gulden und noch 310 Gulden für die Besatzungs-und Einquartierungskosten. Obwohl die Gemeinde gleich eine Reu-und Bittschrift zur Verringerung der Strafe eingereicht hatte, musste sie noch Jahrzehnte an den Strafzahlungen darben. Ein Ende des Aufstands, ganz wie ihn die Herrschaft wünschte. Den Untertanen war überdeutlich klar gemacht worden, wer in Eschenau das absolute Sagen hatte.
Carl Stoewe, Kaufmann und Schultheiß von 1893 - 1928
Sein 1875 gewählter Vorgänger Wilhelm Meyder, ein gelernter Verwaltungsfachmann, legte 1893 sein Amt als Schulheiß nieder. Er war von 1890 bis 1894 für den Wahlkreis Weinsberg in den württembergischen Landtag gewählt worden. Die Eschenauer steckten damals noch tief in konservativen Anschauungungen und litten "wohl auch unter einem engen Horizont", wie es im Eschenauer Heimatbuch heißt. Eine Trennung war unausweichlich geworden. Wilhelm Meyder wurde dann der erste Direktor des Zentralverbands landwirtschaftlicher Genossenschaften in Stuttgart, des späteren Württembergischen Genossenschaftsverband Raiffeisen/Schulze-Delitzsch. In Eschenau hatte er Ende 1880 den Darlehenskassenverein gegründet.
Am 15.Juli 1893 wurde der Kaufmann Carl Stoewe aus Eschenau zu seinem Nachfolger als Schultheiß gewählt, damals noch auf Lebenszeit. Sein Kolonialwarenladen war nach einem Laden in Weinsberg der größte in der ganzen Gegend. Die Originaleinrichtung des Ladens steht heute im Schulmuseum in Weiler.
Von Anfang an wies Carl Stoewe, wie schon sein Vorgänger, auf die sehr beengten Platzverhältnisse im "Alten Rathaus " hin. Seine wiederholten Bitten, das Rathaus in das von der Gemeinde 1869 erworbene Erdgeschoss des früheren Amtshauses zu verlegen, fand grundsätzlich keine Zustimmung im Gemeinderat. Als im Januar 1910 der Gemeinderat den Kauf des restlichen Anteils des Amtshauses, das bisher als Pfarrwohnung gedient hatte, ablehnte, reichte Schultheiß Stoewe wegen dieser Kurzsichtigkeit seinen Rücktritt ein. Nun wurde die Oberamtsverwaltung in Weinsberg tätig. Dem damaligen Oberamtmann Regierungsrat Karl Eisele gelang es im Februar 1910 durch persönlichen Einsatz die Gemeinderäte zum Kauf zu bewegen, worauf Schultheiß Stoewe von seinem Rücktritt absah. Noch im selben Jahr erfolgte der Umzug in das ehemalige Amtshaus. Carl Soewe konnte dann noch 18 Jahre lang in den von ihm gewünschten neuen Amtsräumen tätig sein.